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Ein Geheimnis, das jeder kennt und doch keiner aussprechen will. Der gelegentliche Joint ist längst ein fester Bestandteil in der Gesellschaft, zwischen zwei und vier Millionen Deutsche kiffen regelmäßig. Die Diskussion über eine Legalisierung von Cannabis ist mittlerweile auch in den politischen Reihen angekommen. Experten wissen: „So wie es derzeit läuft, läuft es nicht gut.“ Tatsächlich scheint sich etwas zu bewegen, wenn auch nur sehr langsam. 



Fast jeden Tag sitzt Fred A. (Name von der Redaktion geändert) mit seinen Kumpels gemütlich an der Donau und kifft. Wochenlang.  Vor allem in den Semesterferien. „Dafür rauche ich während der Prüfungszeit oft vier Wochen am Stück überhaupt nichts“, so der 21-Jährige. „Das gemeinschaftliche Rauchen hat bei uns einen sehr hohen Stellenwert.“  Angefangen hat alles mit einem Joint jeden Freitag nach der Schule. Das war vor drei Jahren. Mittlerweile raucht der Maschinenbaustudent drei bis vier Mal in der Woche. Auch alleine, wenn ihm danach ist. Als Sucht sieht Fred A. das nicht. „Ich rauche auch Zigaretten, da merke ich die Sucht. Dann würde ich es beim Cannabis wohl auch erkennen. Bei Gras spüre ich überhaupt keine Sucht. Ich könnte jederzeit aufhören.“

Für ihn bringt es Entspannung, ist eine Art Ausgleich. Gute Laune verstärkt sich, schlechte Laune wird besser. Und die Sinne schärfen sich. „Man schmeckt einfach alles, jede einzelne Zutat. Sogar beim ACE-Saft“, ergänzt sein Kumpel Leo S. (21). Der Auszubildende zum Industriekaufmann ist nur ab und zu mit dabei, kifft ungefähr einmal pro Monat. Mit 16 Jahren probierte er es auf einer Party das erste Mal aus, da ging einfach ein Joint um und jeder hat gezogen. „Wenn ich einen geilen Tag hatte, ist das mal eine ganz andere Möglichkeit den Tag ausklingen zu lassen. Und am nächsten Morgen bin ich fitter als sonst. Im Sommer wird auch unter der Woche mal einer aufgedreht“, so Leo S. „Aber nur, wenn ich keine Kundentermine habe und weiß, ich kann das Auto am nächsten Tag stehen lassen. Dieses Risiko will ich nicht eingehen, dafür ist mir mein Führerschein dann doch zu wichtig.“

Das Polizeipräsidium Regensburg verzeichnet jährlich einige Fälle von strafbarem Drogenbesitz. Besonders stark vertreten ist dabei Cannabis, wie uns die Dienststelle auf Anfrage mitteilte. Lag die Zahl der Fälle im Jahr 2013 noch bei 218 in der Stadt und 55 im Landkreis, wurden 2014 bereits 347  Straffälle in der Stadt und 117 auf dem Land verzeichnet. Die gestiegene Zahl ist dabei auf stärkere Kontrollen, gerade im Bereich um den Bahnhof, zurückzuführen. Insgesamt stellte die Polizei im vergangenen Jahr mehr als 14 Kilogramm Cannabis in Regensburg sicher. Um bereits junge Menschen vor der Droge und einer eventuellen Beschaffungskriminalität zu schützen, betreibt die Polizei in Stadt und Landkreis umfangreiche Aufklärungsarbeit. Dafür werden an Schulen spezielle Stunden abgehalten, um die Jugendlichen gegenüber Cannabis zu sensibilisieren.

Fred A. und Leo S. sprechen sich deutlich für eine  Legalisierung von Cannabis aus, sie wünschen sich eine geregelte Erlaubnis ab 18 Jahren und eine vernünftige Grenze beim Autofahren -so wie beim Alkohol. „Dann würde man sich nicht mehr wie ein Verbrecher vorkommen, nur weil man Gras raucht.“ Der Maschinenbaustudent erinnert sich an eine allgemeine Personenkontrolle mitten in der Stadt. „Sie ziehen eine angenehme Duftfahne hinter sich her“, meinten die Polizisten damals. „Dann wurde ich vor allen Leuten in der Stadt durchsucht, aber natürlich wurde nichts gefunden. Ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher.“  Seht ihr Cannabis als Einstiegsdroge?  „Ja, aber nur, weil man auf dem Schwarzmarkt oft an Leute gerät, die eben auch noch anderes Zeug verkaufen.“ Mit einer Legalisierung würden vor allem Jugendliche überhaupt nicht in solche Kreise geraten. „Außerdem würde der Staat viele Steuern bekommen, der Schwarzmarkt eingedämpft und alles könnte kontrolliert verkauft werden. „Viele bescheißen und mischen sonstwas Ungesundes mit rein, nur um mehr Gewicht zu erreichen und damit mehr Geld zu kriegen. Solche Probleme hätte man dann nicht mehr.“

Für eine neue Grundsatzdiskussion setzt sich auch Prof. Dr. Henning Müller, Professor  für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Regensburg, ein.  Bei einer Resolution, die er schon Anfang 2014 eingereicht hat, fordert er die Überprüfung des Betäubungsmittelgesetzes. „Der Bundestag wird aufgefordert, drogenpolitisch neue Wege zu diskutieren, da die bisherige Politik eher nachteilig ist.“ Diese Politik, die auf Verbote und Strafe setzt, verfehlt das eigentliche Ziel einer möglichst drogenfreien und gesunden Gesellschaft. Zugleich werden so viele neue Probleme verursacht, was etwa die Organisierte Kriminalität angeht, deren Geschäftsmodell auf der Illegalität beruht. „Als Kriminologe und Strafrechtslehrer ist mir diese Problematik sehr bewusst, auch wenn ich nicht über ein Patentrezept verfüge, das sage ich ganz offen. Ich nehme nur wahr: So, wie es derzeit läuft, läuft es nicht gut.“ Der Experte sieht Alkohol als die noch gefährlichere Droge, trotzdem rät er davor, Cannabis nicht zu verharmlosen. „Aber das Verbot hindert eben gar nicht effektiv den Umgang mit dieser Droge und die Illegalität kriminalisiert völlig unnötig junge  Menschen in großer Zahl, obwohl diese niemand anderen schädigen.“ Professor Dr. Müller befürwortet deshalb eine beschränkte Legalisierung.

„Die Legalisierung einer weiteren Droge kann nur dann gesellschaftliche Zustimmung finden, wenn der Jugendschutz möglichst effektiv ist.“ Das könnte man u.a. mit einem Verkauf nur an Erwachsene mit Identitätsnachweis und Mengenbegrenzung erreichen, eventuell nur an speziellen Verkaufsstätten. „Wir wissen aus der Erfahrung mit Alkohol und Tabak, dass Jugendschutz nicht 100 Prozent garantiert werden kann. Beim Alkohol wird achselzuckend hingenommen, wenn sich 14-Jährige betrinken. Wobei unter Alkohol ja auch aggressive Tendenzen im Verhalten gefördert werden, was bei Cannabis eher nicht der Fall ist.“

Andere Länder wie Spanien und die Niederlande sind Deutschland schon weit voraus. Cannabis stehen sie mit einer liberalen Haltung gegenüber. Privater Konsum, Besitz zum Eigenverbrauch und in geringem Umfang auch die Anpflanzung werden nicht mehr strafrechtlich verfolgt. Der Handel ist auf lizensierte Shops oder Cafes beschränkt, die nur an die Eigenbevölkerung verkaufen dürfen. „Diese Situation ist eine Legalisierung, die auf Jugendschutz Rücksicht nimmt“, so Professor Dr. Müller.  „In tatsächlicher Hinsicht sind die legalen Drogen Alkohol und Nikotin noch eher Einstiegsdrogen, einfach dadurch, dass sie relativ frei verfügbar sind und meist den ersten Weg bahnen, durch den Konsum solcher Stoffe Entspannung und Vergnügen zu erleben“, so Professor Dr. Henning-Müller. Jedoch führt der Genuss von Cannabis nicht zum Genuss weiterer Drogen wie Kokain, Crystal Meth oder Heroin. „Einen solchen Automatismus gibt es sicher nicht.“

Härtere Drogen haben die 21-Jährigen noch nie konsumiert. „Werden wir auch nie. Da ist die Suchtgefahr zu groß und es zerstört nur den Körper“, sind sie sich einig. „Wir sind eher auf die verschiedenen Sorten und Geschmacksrichtrungen von Cannabis neugierig. Das ist wie ein guter Wein zum Essen oder das berühmte Feierabendbier. Es gibt  minimale Unterschiede im Geschmack und der Wirkung. Entweder man ist stoned oder high. Träge oder redebedürftig. Das hängt von der Persönlichkeit ab.“ Allerdings geben die beiden auch zu: „Anfangs hatte das Gras natürlich eine stärkere Wirkung. Wir haben weniger Gras gebraucht als heute. Der Körper gewöhnt sich einfach daran.“

Dr. Wilhelm Unglaub, Oberarzt am Zentrum für Suchtmedizin am Bezirksklinikum Regensburg kennt die Risiken ganz genau: „Werden Suchtmittel konsumiert, kommt es in Abhängigkeit vom Stoff und der konsumierenden Person zu irreversiblen Veränderungen im Belohnungssystem des Gehirns. Diese Veränderungen passieren unmerklich, ohne Schmerzen oder ein anderes Warnsignal im Körper.“ Dass man abhängig geworden ist, bemerkt man erst im Nachhinein, wenn man den Stoff weglässt und entzügig wird. „Eine Abhängigkeit kann bei regelmäßigem Konsum von Heroin in wenigen Wochen passieren, bei Alkohol braucht es Jahre. Cannabis liegt dazwischen, ein mehrmonatiger, regelmäßiger Konsum ist meist erforderlich.“

Auch bei der Abhängigkeit gibt es verschiedene Einflüsse und Faktoren, die das Risiko, süchtig zu werden, erhöhen. Selten liegt der wesentliche Grund für eine Abhängigkeitsentwicklung an der genetischen Grundausstattung, oft spielen häufige Umzüge mit Wechsel des Freundeskreises, komplizierte Trennungen der Eltern oder Vernachlässigung und Gewalt zwischen den Eltern eine bedeutendere Rolle. Ereignisse in der Kindheit sind also auch bei der Anfälligkeit für Sucht ausschlaggebend. Genauso können psychische und körperliche Erkrankungen das Risiko erhöhen. „Cannabis trägt dazu bei, Schmerzen, Depressionen, Ängste und Alpträume zu vergessen, therapeutisch zu verdrängen, allerdings um den Preis des Vermeidens einer passenden Lösung und unter Umständen der Entwicklung einer Sucht“, erklärt Dr. Unglaub.

Doch ab wann spricht man von einer Sucht? „Körperlich treten bei Cannabisentzug Schwitzen, Frieren, Schlafstörungen und manchmal Muskelschmerzen auf – also wie bei einem grippalen Infekt. Psychische Symptome äußern sich in Stimmungsschwankungen, depressiven Zuständen, Reizbarkeit, Unruhe, dem Wiederauftauchen von Problemen und dem Drang, wieder Cannabis zu konsumieren.“ Außerdem gibt es Hinweise, dass Cannabis bestehende psychische Erkrankungen verschlechtert und auch Psychosen auslösen kann. Der Konsum führt auch in manchen Fällen zum sozialen Rückzug, Tagträumen und der Aufgabe von Hobbies. „Ein Medikament auf Cannabisbasis kann bei schwerer Spastik und kachektischen Zuständen mit Appetitmangel verschrieben werden, eine Legalisierung ist hierfür nicht erforderlich“, so Dr. Unglaub. „Verglichen mit den Nebenwirkungen wäre der medizinische Nutzen von Cannabis marginal.“ 

Für Fred A. und Leo S. ist Gras weit weniger gefährlich als Alkoholkonsum. „Auf Alkohol reagiert man oft aggressiv, bei Gras gibt es so etwas nicht.“ Man lacht, ist gut drauf, genießt das Leben, oder aber, man wird einfach müde. Mehr passiert da nicht. Und Alkohol ist ja schließlich auch erlaubt. „Mit 16 kannst du dir schon die Birne mit Bier zusaufen, aber wehe du kiffst. In unseren Augen ist Gras keine Droge. Cannabis wird so und so konsumiert. Von allen Gesellschaftsschichten. Legal oder Illegal.“ 

Mehr zu diesem Thema finden Sie in unserer aktuellen filter-Ausgabe. 

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Foto: Ocus Focus / bigstock.com 

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