Eine geneigter Kopf mit geschlossenen Augen, wunderschöne, teils melancholische Klänge. Die warme, glänzende Farbe des Instrumentkörpers. Weiche, elegante und geschwungene Formen und regelmäßige Bewegungen, mit welchen über die zarten Saiten gestrichen wird…Die Violine. Der Juwel der Virtuosen. Diejenigen, die etwas versierter in Bezug auf die Familie der Streichinstrumente sind, werden schnell an Namen wie Stradivari, Guarneri, oder Amati denken – an höfische Musik, an den Barock und vor allem an Italien. Was jedoch nur Experten und „Geigenflüsterer“ wissen können, hat eine jahrhundertelange Tradition, setzt sich aus viel Kenntnis und Geduld zusammen und wird in Regensburg beim „Geigenbau Goldfuss“ vom Inhaber Thomas Goldfuss angewendet und gelehrt. In seiner Werkstatt werden Geigen aus aller Welt repariert, restauriert oder Neumodelle geschaffen.
Ein erster Besuch in der alten Werkstatt verdeutlicht, wie komplex und aufwändig die Herstellung oder Reparatur einer Geige ist. Ein Ofen wärmt die Mitarbeiter und Lehrlinge in den Räumlichkeiten, unzählige Einzelteile schmücken die Wände und Decken: Geigenkörper, Griffbretter, Werkzeuge, Urkunden…Sieht man sich weiter in der Werkstatt um, stößt das Auge auf viele kleine, feine Sägen, Wirbelschneider, Schnitzer sowie ganze Gipsvorrichtungen, in denen eine auseinandergebaute Geige wie auf einem OP-Tisch liegt. Der Arbeitsaufwand und die Finesse, die sich hinter einer Reparatur verbergen, lassen sich nur unschwer erahnen. Thomas Goldfuss, der zusammen mit seinem Vater das Geschäft in dritter Generation führt, hat die Lehre zum Geigenbauer im Jahr 1982 in Schwandorf abgeschlossen. 1985 zog er nach Regensburg, um in der Werkstatt, die seit 1937 existiert und damals nur seinem Vater gehörte, mitzuwirken.
Dauer und Aufwand einer Reparatur oder Restauration einer Geige hängen natürlich von dem erlittenen Schaden oder ihrem Zustand ab. „Die Reparatur kann schon mal 100 bis 120 Arbeitsstunden in Anspruch nehmen“, erklärt Goldfuss. Es hängt davon ab, ob es sich um eine aufwändige Reparatur handelt, zu der auch Lackierungsarbeiten gehören und für die somit eine Trockenphase mit eingerechnet werden muss. Oder, ob es eine weniger aufwändige Reparatur ist, bei welcher beispielsweise nur die Wirbel eingepasst oder die Griffbretter abgerichtet werden müssen. Letztere stünden vor allem im Sommer an, sobald ganze Orchester sich bei Goldfuss für die Wartung ihrer Instrumente anmelden. Mit einem Lächeln erinnert er sich an eine beinahe komplett zerstörte Geige: Eines Tages habe er einen Anruf von einem verzweifelten Kunden erhalten, welchem bereits mehrmals versichert worden war, dass die Reparatur seiner Geige unmöglich sei. Goldfuss nahm sich jedoch dieses Kunden mit den Worten, „Es gibt keine Geige, die ich nicht reparieren kann!“, an. So kam der Kunde kurz darauf vorbei – mit einer Geige, die nach einem Sturz fast nur noch aus verschieden großen Holzteilen und millimetergroßen Spänen bestand. Aufbewahrt wurde das, was übrig geblieben war, in einem Schuhkarton. Eine Fotografie, die Thomas Goldfuss bis heute in seiner Werkstatt aufbewahrt, zeigt das Ergebnis der insgesamt neunmonatigen Reparaturphase: Zu sehen ist eine Geige, die aussieht, als wäre sie nie kaputt gewesen. Unvorstellbar erscheint es für den Laien, dass ausschließlich mit den abgebrochenen Stücken des Instruments gearbeitet und nichts hinzugefügt wurde. Jedes millimetergroße Teilchen hat während der Reparatur zurück an seinen Platz gefunden. Nach Aussage des staunenden Besitzers klang sie danach zudem besser als davor. Heute sei die Geige noch in Betrieb – zum letzten Mal habe sie Goldfuss vor einem Jahr bei einem Preisträgerkonzert gesehen. Derzeit befinde sie sich in der SINFONIMA-Stiftung der Mannheimer Versicherung. „Geigen wie eine Stradivari sind oft in Millionenhöhe versichert“, erklärt er. „Vor der Reparatur muss man sich dann erkundigen, inwiefern der Schaden und die Reparatur Einfluss auf den Originalwert des Instruments haben.“ Grundsätzlich gilt jedoch, dass so viel wie möglich an und mit den kaputten Teilen der Geige gearbeitet und so wenig wie möglich verändert oder hinzugefügt werden soll. Der ursprüngliche Wert werde dadurch nicht unnötig vermindert. „Es geht immer um folgende Trias: Werterhalt, Funktionalität und Klang.“
Goldfuss selbst habe über Jahre hinweg mit den verschiedenen Reparaturmöglichkeiten experimentiert. In der Werkstatt wird seit jeher alles von Hand repariert, wobei er unterstreicht, dass jeder Geigenbauer seine eigene Technik habe. Es gebe keine „Universalreparatur“. Jeder Geigenbauer habe seine eigenen Werkzeuge und seine ganz persönliche Arbeitsweise. Das Wissen um die verschiedenen Lacke, Hölzer und Arbeitsschritte sowie um alles, was den Neubau von Geigen betreffe, verschaffe man sich „durch Fachliteratur, Ausstellungen oder durch die neuen Medien, die man früher noch nicht nutzen konnte“. Bei Familienbetrieben liegt es auch nahe, dass das Wissen von Generation zu Generation weitergegeben und so am Leben erhalten wurde.
Der Bau von Geigen hat eine lange Tradition in der Geschichte der Menschheit. Das exakte Entstehungsdatum der ersten Geige, wie wir sie heute kennen und hören, ist nicht darin nicht auszumachen. Vielmehr wurden die Herstellung und Materialien der Geigen im Laufe der Geschichte immer wieder umgeändert und perfektioniert. Goldfuss erklärt, dass er auch jahrhundertealte Geigen in seiner Werkstatt restauriere. Besonders interessant ist bei einigen die Genealogie: Wer hat sie gebaut? In welchem Jahrhundert entstand sie? Welcher Familie hat sie gehört? Natürlich könne man das nicht bei allen Geigen zurückverfolgen, aber bei ganz besonders hochwertigen und prestigeträchtigen wie einer Guarneri oder Stradivari, die einst einem großen Virtuosen gehört haben, sei es durchaus möglich. „Früher waren Instrumente der einfachen Bevölkerung vorenthalten. Man machte Musik am Hofe“, präzisiert der Geschäftsführer. „Erst mit der französischen Revolution wurden diese Instrumente dem Bürgertum zugänglich gemacht.“ Bis heute existieren Geigen aus dem 16. und 18. Jahrhundert, die durch stete Restauration in gutem Zustand sind und noch zum Einsatz kommen. Amüsiert erzählt er eine Anekdote zu Paganini, welcher in seinem Testament angeordnet habe, dass nach seinem Tode niemand mehr seine Geige spielen dürfe und dass diese in den Besitz der Stadt Genua übergeben werden solle. Nach langer Zeit entschied man sich allerdings dazu, einer Beeinträchtigung ihres Wertes entgegenzuwirken und sie wieder in Betrieb zu nehmen. In der Goldfuss-Werkstatt befindet sich eine Geige von Gabriel David Buchstetter aus dem Jahr 1763. „Noch nie habe ich eine so schöne Buchstetter gesehen. Eine wunderbare Geige“, schwärmt er.
Die Herstellung einer Geige ist ein dynamischer Prozess, bei welchem sich im Laufe der Zeit auch die Materialen verändert haben. Früher wurde bei der Decke einer Geige oft mit Tannen- oder Zedernholz experimentiert und bei dem Boden mit Pappel oder Platanenholz. Heutzutage werden Decke und Innenhaus aus Fichte und der Boden sowie die Zargen und der Hals aus Ahorn gefertigt. Das Griffbrett besteht aus Ebenholz. Früher bestand das Zubehör einer Geige aus Elfenbein – heute wird eher Buchsbaum oder Ebenholz verarbeitet. Die Herstellung einer neuen Geige kann bis zu 220 Arbeitsstunden in Anspruch nehmen, was sich jedoch auch am Preis erkennen lässt. Dieser liege dann zwischen 16.000 und 18.000 €. Sonderwünsche des Kunden (beispielsweise durch Verzierungen und Goldeinlagen) können diesen Preis noch in die Höhe treiben. Billigprodukte aus dem asiatischen Raum seien laut Thomas Goldfuss ein Problem. Im Internet sowie einigen Supermärkten könne man teilweise maschinell hergestellte Geigen für nur 70 € kaufen. „Allerdings darf man dann von so einem Exemplar auch nicht viel erwarten.“
Für die Reparatur einer Geige werden in der Werkstatt ausschließlich Naturprodukte verwendet. Im Lackierraum vermischt und stellt Goldfuss selber Lacke aus Terpentin und Pigmenten. Synthetische Farben werden nur in Ausnahmefällen verwendet. In dem meterhohen Regal, in welchem sich hunderte kleine, braune, antike Pharmaziefläschchen aneinanderreihen, finden sich die exotischsten Zutaten für die perfekte, sorgfältig aufeinander abgestimmte Lackkomposition. Neben Kurkuma und Safran, welche dem Lack bei seiner Mischung eine schöne Farbe verleihen und für das optische Erlebnis bei der Geige sorgen, stehen auch Harze aus Myrrhe und Weihrauch. „Es gibt zudem noch halbfossiles Harz wie Copal oder fossiles Harz wie Bernstein. Der Härtegrad des Lacks bestimmt sich durch die verwendeten Harze.“ Eine interessante, farbgebende Lackzutat ist beispielsweise das dunkelrote „Drachenblut“, welches aus der Region Indien/Sumatra/Burma importiert wird. „Italien war damals das große Handelszentrum Europas. Denken Sie an Venedig, Genua. An Marco Polo und die antiken Handelsstraßen.“ Die verschiedenen orientalischen Gewürze seien so aus dem asiatischen Raum nach Europa gelangt. Der Lack einer Geige hat mehrere Funktionen: Zum einen schützt er das Instrument vor Feuchtigkeit und Schmutz und ist für die Ästhetik des Instruments unerlässlich. Zum anderen verleiht eine edle und gelungene Lackierung der Geige ihr einzigartiges Aussehen. Entscheidend ist auch die Art und Weise, wie der Lack aufgetragen wird. Es gibt Lacke, die nur einmal dünn appliziert werden. Andere Lackierungen erfordern im Gegensatz dazu mehrere Schichten, um den gewünschten akustischen Effekt zu erzielen – der Lack darf nicht dämpfend wirken, denn ein zu harter Lack reduziert die Klangqualität. Die Basis der Lackkomposition bilden Öle oder Spiritus. In ihnen werden wertvolle Naturharze gelöst und mit ätherischen Ölen oder pflanzlichen Farbextrakten (wie Kurkuma und Drachenblut) ergänzt. Am Ende wird der Lack je nach Bedarf in mehreren Schichten aufgetragen.
Das meiste Werkzeug, welches bei ihm selbst zum Einsatz kommt, wurde in Japan hergestellt, denn mit japanischem Werkzeug arbeite man anders als mit deutschem: „Ich habe in Japan extra ein Flacheisen anfertigen lassen. Das Besondere bei japanischem Werkzeug ist die Technik. Die japanischen Hebel und Sägen funktionieren auf Zug, was für mehr Stabilität und Präzision bei der Arbeit sorgt. Deutsche Werkzeuge sind so konstruiert, dass sie auf Schub arbeiten, man also eine Vorwärtsbewegung ausführt.“ Neben Sägen, Wirbelschneider für die Geigenwirbel, Flacheisen, Rundeisen und Wölbungshobel für den Innenraum gibt es auch noch Biegeeisen und Zwingen, die beim Neubau einer Geige zum Einsatz kommen. Seine Kundschaft ist sowohl regional als auch international: „Vor allem aus Süddeutschland kommen viele Einzelkunden oder auch ganze Orchester, die über den Sommer ihre Instrumente warten lassen wollen. Dann natürlich auch aus Japan, den USA, Korea… Bern, Wien oder Salzburg.“
Die Anekdoten des Geschäftsführers sowie die gewonnenen Eindrücke, die man erst einmal auf sich wirken lassen muss, unterstreichen die Besonderheit dieses traditionsreichen Handwerks. Für die Arbeit an einer Geige bedarf es an Feingefühl, Geduld und vor allem Leidenschaft. Werkstätten wie die von Thomas Goldfuss leisten einen unerlässlichen Beitrag zur Pflege von kulturellem Erbe, sowohl handwerklicher als auch klanglicher Natur.