Bentley Continental Gt Speed: Ich bin der Prinz mit Pfefferminz
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- Kategorie: Sport & Freizeit
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Englisches Understatement – for sure NOT! Seit der Jahrtausendwende setzt der Bentley Continental GT ein zeitloses, mächtiges Ausrufezeichen – auch bei feinstem Aprilwetter, ganz besonders, wenn es dabei noch ein „Speed“ ist.
Schneegestöber, Sonne, Graupel – das Wetter wechselt während unserer Testfahrt tatsächlich im Sekundentakt. Noch schneller wechselt aber der Continental GT Speed die Gangart. Sie gleiten leise und gemächlich vor sich hin, passend zum stilvoll orchestrierten Design des Coupés mit seiner markanten Kühlerfront, dann reicht ein Zug an der lederummantelten, rot eingenähten Lenkschaltwippe links: Der Schläfer erwacht, moduliert den Abgastrakt, das sonore Brummen wird zum heftig dumpfen Grollen, und dann kommt der Schub. Brachial. Unerwartet. Unstoppable. Ein kurzes, minimales Zucken des Hecks, der Kopf wird fliehkraftbedingt und unumstößlich in die höchst angenehmen Kopfstützen der Sportsitze gebettet, und die Tachonadel springt infarktähnlich proportional zur Verbrauchsanzeige in eine andere Sphäre. Die Landschaft beginnt zu fließen.
635 PS aus sechs Litern Hubraum. 12 Zylinder. Biturbo. What else? Irgendwie bekommt es der leicht hecklastig ausgelegte Vierradantrieb gerade so hin, die bis zu 820 Nm Drehmoment auf die Straße zu bringen. Gediegen wird gepeitscht, es geht in 4,2 Sekunden auf 100 km/h, und es endet erst bei satten 331 km/h. Das ist ein km/h mehr als ein aktueller (!) 911 Turbo S schafft. Beherztes Gasgeben hat hier ernsthafte Konsequenzen. Doch lässt man dann ab und die Automatik erkennt das Friedensangebot des Fahrers, dann gehen die Klappen im Auspuff zu: Tea-Time. Good bye, Fahrgeräusche! Der Reisende wird wieder in einen wohlduftenden Wattebausch gehüllt.
Sportlich, dynamisch, radikal versus sanft, ruhig, luxuriös: Der GT Speed schafft den bislang größten Spagat in diesen sich physikalisch weitgehend ausschließenden Disziplinen. Dazu trägt auch das adaptive Luftfahrwerk bei, das blitzschnell seine Charakteristik an die jeweiligen Notwendigkeiten anpasst und bei Bedarf das Fahrwerk knackig hart einstellt. Ein Presetup mit verschieden Stufen wird dabei per Knopfdruck und Touchscreen eingestellt. Auf diese Einstellung wird dann auch prinzipiell „zurückgefahren“, wenn das Fahrzeug wieder normal bewegt wird. Und wer nach heftiger Beschleunigungsorgie doch noch die verschwommene Anhaltertruppe mitnehmen will, hat neben edelsten Sitzen im kleinen Fond mächtige Keramikbremsen, um aus dem Supersportlertempo bissig zum Stillstand zu kommen.
Es graupelt und schneit nun, cruisen ist jetzt angesagt. Bei 130 km/h säuseln wir vor uns hin und verbrauchen dabei knapp über zehn Liter auf 100 Kilometer und um die neun auf der Landstraße danach. Wer den W12 von der Leine lässt, saugt natürlich eher wie ein Engländer im Pub nach der Coronakrise – Hubraum will befüllt werden.
Der GT wurde 2003 auf den Markt gebracht und seitdem mehrfach verfeinert. Aber gerade hier zeigt sich eben das gute Design, das bis 2018 im Wesentlichen gleich blieb. Unser GT Speed ist ein 2015er Model und mit etwas über 33.000 Kilometern knapp 100.000 Euro wert (2015 ab ca. 216.000 Euro). S & L in Pentling hat natürlich auch hier wieder einmal einen ganz besonderen ausgewählt: Es ist der Prototyp, den Bentley für eine Messe zur Präsentation gebaut hat. Der ist natürlich etwas Besonderes. Innen zeigt sich der Speed generell mit extra Emblemen, Alu, verspielten Knöpfen und einer herrlichen Lederarbeit. Nahezu Barock oder nur extravagant? Die Grenzen verschwimmen. Alles ist wirklich sehr übersichtlich, aufgeräumt aufgebaut und mit netten Details versehen. Die Bentley-Mutter VW ist hier nur Garant für Qualität – handgefertigt wird weiterhin in GB.
Fazit: Der „etwas“ andere Bentley – eine elegante Rennyacht unter den vielen Segelbooten. Und wie immer: Ein zeitloses Design ist selten und umso wertvoller. Well done!
Bildquelle:
Kamerafoto / filterVERLAG |