Konsum ist ein fester Bestandteil des Alltags und begleitet die Gesellschaft das gesamte Jahr über. Allerdings bleibt die Frage: Machen Shopping und die kleinen Geschenke an einen selbst uns wirklich glücklich? Verschiedene Forscher verfolgen unterschiedliche Ansätze, um eine Antwort auf diese Frage zu finden.
Zu kaum einer anderen Zeit begeben sich so viele Menschen in die Einkaufszentren Deutschlands wie in der Weihnachtszeit. Selbstverständlich begleitet Konsum die Gesellschaft das gesamte Jahr über: Hier eine Neuanschaffung für das Haus oder die Wohnung, da ein neues Paar Schuhe – Shopping ist für viele Menschen mehr als nur ein Zeitvertreib oder eine Notwendigkeit.
Denn – egal ob online oder im Laden – der Einkauf kann auch als Ritual der Selbstpflege oder als Stimmungsaufheller verstanden werden. Besonders Letzteres wird als „Retail Therapy“ bezeichnet, aus dem Englischen übersetzt also als „Kauftherapie“. Zugleich verschlechterte sich der Ruf des Konsums innerhalb der letzten Jahre – insbesondere unter dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit – und Konsumverzicht entpuppte sich als neuer Trend. Wieso tätigen Konsumenten dennoch immer wieder unüberlegte Einkäufe, insbesondere von Kleinigkeiten – und machen diese auch tatsächlich glücklich?
Konsumnation Deutschland
Laut Zahlen des Statistischen Bundesamts (Destatis) gaben Deutsche im Jahr 2020 etwa 713 Milliarden Euro für Dinge aus, die über Nahrung, Wohnung und Transport hinausgehen. Davon entfielen etwa 63,5 Milliarden auf Kleidung und Schuhe und weitere rund 114,4 Milliarden Euro auf Möbel und Haushaltszubehör. Zahlen in Größendimensionen, die sich das menschliche Gehirn kaum vorstellen kann – de facto sagen sie allein aber wenig über das Konsumverhalten der Deutschen aus. Erst im europäischen Vergleich wird einem klar, was diese Größen bedeuten: Im Jahr 2020 haben deutsche Privathaushalte etwa 1,6 Billionen Euro ausgegeben, auf Platz zwei liegt mit einem guten Stück Abstand Frankreich mit rund 1,2 Billionen Euro. Damit sind wir Deutschen EU-weiter Konsummeister. Wofür gibt Deutschland sein Geld aus, sodass derartige Summen zusammenkommen?Destatis bricht die Konsumausgaben von privaten Haushalten auf einen „Musterhaushalt“ runter: Durchschnittlich geben deutsche Haushalte monatlich 2.507 Euro aus, davon entfällt mehr als ein Drittel für Wohnen und Energie. Weniger essenzielle Dinge – wie Freizeit und Kultur, Kleidung und sonstige Anschaffungen – sind für 36 Prozent der Gesamtausgaben verantwortlich. Geiz mag zwar geil sein, aber offenbar findet Deutschland Genuss noch geiler – darauf lassen die Kaufentscheidungen zumindest schließen.
Weniger Reisen, mehr Technik: Konsum während Corona
Dennoch sanken die Konsumausgaben zwischen 2019 und 2020 um drei Prozent, hierzu trug die COVID 19-Pandemie sicherlich ihren Teil bei. Die Ausgaben der Deutschen spiegeln die Situation wider, in der sich das Land seit März 2020 befindet: Im Vergleich zum Vorjahr wurde 2020 weniger Geld für Reisen und Events ausgegeben, dafür mehr in Heimtechnik wie PCs, Tablet oder Notebooks und in die Einrichtung der eigenen vier Wände investiert. Es zeichnet sich also auch ein Bewusstsein darüber ab, was tatsächlich gebraucht wird – das Home Office wird für viele Konsumenten Anlass gewesen sein, die technische Ausstattung daheim auf einen neueren Stand zu bringen. Die Veränderungen im Konsumverhalten dank der Pandemie äußern sich auch im Umsatz des Einzelhandels, insbesondere in Bayern: Das bayerische Landesamt für Statistik meldete für die drei verstrichenen Quartale im Jahr 2021 nach der Preisbereinigung einen Umsatzanstieg von 5,6 Prozent. Hierfür wird primär der Online- und Versandhandel verantwortlich gemacht: Der Umsatz stieg in dieser Sparte real um 22 Prozent. Im Kontrast hierzu sank der Umsatz des Einzelhandels in Verkaufsräumen um ein Prozent, was sicher auch den Schließungen im Frühjahr und den Zugangsbeschränkungen im Sommer zu verdanken war.
Die Statistiken machen allenfalls klar, was vielleicht schon offensichtlich war: Deutschland kauft gern ein. Selbst eine Pandemie kann nicht vom Konsum abhalten – dieser wird schlicht in den digitalen Raum verlagert, der sich ohnehin als bequemer und praktischer als sein Pendant im echten Leben anbiedert. Während die Lage der Händler sich seit März 2020 noch nicht vollständig stabilisiert hat, da lauert schon die nächste vermeintliche Bedrohung für den Umsatz am Horizont: der Trend zum Konsumverzicht.
Was zunächst äußerst rabiat klingen mag, kann in der Form eines totalen Verzichts auch kaum durchgesetzt werden, ohne weitreichende Folgen nach sich zu ziehen. Jedoch kann man das Umdenken im Konsumverhalten individuell auslegen – somit auch auf eine Art und Weise, die nicht die Wirtschaftsmaschinerie Deutschlands lahm legen würde.
Bewusster Konsumverzicht oder Askese in Modern?
Konsumverzicht ist en vogue – insbesondere unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit wird durch verschiedene Initiativen an Konsumenten appelliert, ihr Kaufverhalten zu überdenken und Einkäufe so weit wie möglich einzuschränken oder gar komplett zu unterlassen. So führte beispielsweise das Marktforschungsinstitut Kantar Emid eine Studie im Auftrag von Greenpeace durch, deren Ergebnisse darauf schließen lassen, dass Deutsche durchaus dazu bereit sind, ihren Konsum einzuschränken. Laut Kantar Emid könnten sich etwa 59 Prozent der Befragten vorstellen, sich bei der Nutzung und dem Kauf von Smartphones einzuschränken, solange dies zum Umweltschutz beitrüge. So gut Konsumverzicht in der Theorie auch klingen mag, ob er tatsächlich praktikabel ist, hängt von den realen Gegebenheiten ab: Immerhin lässt sich nicht jede nötige Anschaffung durch Reparaturen oder gar Verzicht kompensieren. Eine nachhaltigere Konsumalternative würde in diesem Fall der Gebrauchtkauf darstellen, damit bereits vorhandene Güter auch weiterhin gebraucht werden und nicht ohne Nutzen im Keller stehen bleiben. Solche Umstellungen im Kaufverhalten werden dank des Bewusstseins getätigt, dass ständiges Neukaufen die Umwelt nachhaltig belastet und CO2-Emissionen oder beispielsweise Elektroschrott ein großes Problem der modernen Konsumgesellschaft darstellen. Diese Tatsachen in seine Kaufentscheidungen miteinzubeziehen, ist Teil des Strebens nach einer nachhaltigen Lebensweise, die durch mediale Öffentlichkeiten, Protestbewegungen und Social Media Kampagnen immer wieder propagiert wird.
Daher ist nicht verwunderlich, dass Konsumverzicht in Deutschland immer öfter thematisiert wird. Konsumverzicht wird als Tugend dargestellt – ganz nach dem Motto: „Weniger ist mehr“. Minimalismus als allumfassender Lifestyle bringt angeblich nicht nur Ordnung in die Wohnung, sondern auch in die Gefühlswelt und soll zum guten Gewissen beitragen. Verzicht ist auch bei Weitem kein neumodisches Konzept – in vielen philosophischen Strömungen wird aktiver Konsumverzicht als Weg zum Glück beschrieben. Zu Zeiten der antiken Griechen lebte Diogenes die Askese in einer Tonne auf den Straßen Athens vor, ab dem Mittelalter christliche Mönche, die sich in den Klöstern vom weltlichen Besitz lossagten. Konsum schien die Menschheit demnach seit dem Beginn organisierten Zusammenlebens zu beschäftigen, nun eben auch in westlichen Konsumgesellschaften.
Allerdings bedarf die moderne Gesellschaft vielleicht nicht den Blick darauf, wie viel konsumiert wird, sondern was. So radikal Konsumverzicht auch klingen mag, steckt dahinter selten eine komplette Absage an das Einkaufen und die Teilhabe an der Wirtschaft. Stattdessen beobachten Soziologen und Konsumforscher bei vermeintlichem Konsumverzicht oftmals eine Verlagerung von Prioritäten bei Kaufentscheidungen: In solchen Fällen werden als Folge des Verzichts statt vieler preisgünstigeren Kleinigkeiten nur einige wenige, dafür aber teurere Güter gekauft. Das ausgegebene Geld bleibt gleich – während die Quantität der gekauften Produkte zugunsten einer steigenden Qualität abnimmt.
Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich auch die Summen an ausgegebenem Geld in deutschen Haushalten mit dem neuen Bewusstsein für Konsum vereinbaren: Zwar mag weniger gekauft werden, dafür qualitativ hochwertiger und eventuell auch zu einem höheren Preis. Derartige Käufe sind meist gut überlegt und überzeugen durch ihren langfristigen Nutzen – warum aber neigen Menschen im Kontrast zu diesem neuen Zeitgeist trotzdem zu den weitverbreiteten Impulskäufen?
Retail Therapy: Großes Glück für kleines Geld?
Folgendes Szenario: Eine Person betritt einen Laden in der Absicht, lediglich Notwendiges für den Haushalt einzukaufen. An der Kasse angekommen stellt man fest, dass sich dennoch mehr im Warenkorb befindet als geplant – beispielsweise Teelichter. Das sogenannte „Teelicht-Phänomen“ bezeichnet die nachweisliche Begebenheit, das Konsumenten oftmals mehr einkaufen, als sich vorgenommen wurde und ebendiese Gegenstände mit dem Gedanken in den Warenkorb gelegt werden, sich selbst etwas Gutes zu tun. Im Englischen ist bei solchen Einkäufen von „Retail Therapy“ die Rede. Bei der sogenannten Einkaufstherapie handelt es sich um diejenigen Käufe, die bei schlechter Laune ungeplant getätigt werden, mit dem Ziel, sich hinterher im besten Fall glücklicher zu fühlen. Was also muss beim Abschluss eines kleinen Nebeneinkaufs im menschlichen Gehirn passieren, damit davon ausgegangen werden kann, Konsum würde die Laune steigern? Der Münchener Konsumforscher Hans-Georg Häusel führt das Gefühl des „Habenwollens“ auf Bedürfnisse zurück, die sich im Laufe der Evolution entwickelt haben. Insbesondere die Sorge um Sicherheit und Balance wird durch Konsum beruhigt, beispielsweise beim Kauf von Notwendigkeiten oder beispielsweise Versicherungen. Aber auch auf neuropsychologischer Ebene reagiert das Gehirn auf Konsum: Bei einer Kaufentscheidung kommt es zum Kampf zwischen der Insula im Großhirnlappen und dem Belohnungszentrum des Gehirns. Während die Insula sich mit dem Schmerz des Geldausgebens befasst, welcher als Verlust finanzieller Mittel wahrgenommen wird, werden im Belohnungszentrum Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet. Damit löst Konsum einen Prozess aus, bei dem der finanzielle Verlust gegen die Menge an ausgeschütteten Hormonen aufgewogen wird. Der emotionale Effekt ist somit nicht nur vorhanden, sondern auch durchaus messbar, weshalb die Forschung sich in verschiedenen Studien mit der drängenden Frage beschäftigt: Macht Konsum glücklich?
Konsum und Emotion – was sagt die Wissenschaft?
In einer geteilten Studie des HEC Paris und der Pennsylvania State University der Professorinnen Selin Atalay und Margaret Meloy wurde untersucht, was Konsum mit den Emotionen der Menschen anstellt. Genauer, ob Retail Therapy tatsächlich den gewünschten Effekt bewirkt und ob die kleinen Gefälligkeiten, die im Warenkorb landen, uns glücklicher machen können? Die Studie wurde in drei Teilen durchgeführt, um drei verschiedene Hypothesen zu testen, diese miteinander abzugleichen und zu verbinden.
Schlechtere Laune = mehr Impulskäufe?
Die erste These lautet: „Menschen, die sich weniger glücklich fühlen, tätigen eher ungeplante Einkäufe, um ihre Laune zu bessern“. Bei diesem Teil der Studie wurden Menschen in einem Einkaufszentrum nach ihrer Laune und ihrer Einkaufsliste befragt. Hinterher wurden die tatsächlich getätigten Einkäufe überprüft und die Stimmungslage erneut eingeschätzt. De facto fügten Probanden, die zuvor eine schlechte Laune angaben, eher ungeplante Kleinigkeiten zu ihrem Warenkorb hinzu – mit der Auffassung, dass es sich dabei um eine Gefälligkeit für sie selbst handelt. Zwar fielen auch gut gelaunte Probanden dem Teelicht-Phänomen zum Opfer, jedoch konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Häufigkeit diesen Konsumverhaltens und der Stimmung der Testpersonen festgestellt werden.
Die Strategie hinter dem Trieb
Die zweite Hypothese beleuchtete, inwiefern Strategie hinter Spontankäufen zur Besserung der Laune stecken könnte. Gemeint ist damit, ob in der Psyche der Konsumenten ein Abwägen stattfindet, das vergleicht, ob eine Verbesserung der Stimmung auch durch Verzicht und Impulskontrolle stattfinden könnte, anstatt den Trieben nachzugeben. Bei diesem Teil der Studie kamen Atalay und Meloy zum Schluss, dass ein solcher Vergleich durchaus stattfindet. So mag Retail Therapy zwar spontan stattfinden, ist aber insofern strategisch, als dass das Gehirn beim impulsiven Konsum eine höhere Chance auf Stimmungserhellung wahrnimmt als beim Verzicht.
Was sich lohnt und was nicht
Die dritte und letzte These besagt, dass ungeplante Einkäufe zur Verbesserung der Laune nicht zu Reue führen müssen. Dafür ließen die Professorinnen ihre Probanden über zwei Wochen hinweg zwei Konsumtagebücher führen, in denen Events, die zur Retail Therapy führten, und die Gefühle nach dem Kauf dokumentiert wurden. Die Ergebnisse des letzten Studienteils lassen darauf schließen, dass Käufe, die zur Besserung einer negativen Stimmung angedacht waren, seltener bereut werden. Im Kontrast hierzu wurden Konsumhandlungen, die eine positive Stimmung verstärken sollten, zwar oft auch positiver bewertet, aber ebenso häufig auch stärker bereut. Als Erklärung hierfür wird der Effekt des „Mental Accounting“ in Erwägung gezogen: Dabei handelt es sich um das „Gegenrechnen“, wie sehr sich der Kauf zur Steigerung der Stimmung gelohnt hat. Personen, die durch den Konsum eine Besserung ihrer Laune erfahren haben, erleben dabei eine stärkere Auswirkung auf den Gemütszustand im Vergleich zu denen, die zuvor schon glücklich waren. Daher fällt es Ersteren leichter, den Kauf gedanklich zu rechtfertigen und so eine Post-Einkaufs-Reue zu vermeiden. Die Funde des Forschungsteams um Atalay und Meloy weisen somit darauf hin, dass Retail Therapy durchaus eine stimmungserhellende Wirkung haben kann. Damit könnte das Teelicht-Phänomen als Bewältigungsstrategie der Psyche interpretiert werden: Indem man sich selbst eine Kleinigkeit gönnt, wird durch wenig Einsatz auf einen Ausgleich zwischen negativen und positiven Gefühlen gehofft. Durch diese psychologische Reaktion würde auch auf das Balancebedürfnis als Überbleibsel der Evolution eingegangen werden. Umso besser, wenn die Retail Therapy hinterher gerechtfertigt werden kann und nicht zu nachträglichem Ärger und Reue führt. Gefährlich kann es jedoch dann werden, wenn nicht das Gekaufte zum Glücksgefühl beiträgt, sondern der Akt des Kaufens an sich. Kaufsucht ist ein unterschätztes psychologisches Phänomen, dessen Betroffene oft stigmatisiert werden.
Der Kauf von Nebensächlichkeiten per se bedeutet jedoch keinesfalls, dass die Personen kaufsüchtig sind – auch nicht, wenn man sich dadurch ein kleines Stück Glück „erkauft“. In diesem Sinne wird Konsum seinem neuerdings schlechten Ruf also nicht gerecht. Stattdessen rückt vielmehr in den Vordergrund, ob das, was gekauft wurde, auch seinen Zweck erfüllt und den Kauf auch wert war. Dies wiederum ist aber keine Tatsache, die empirisch gemessen werden kann, sondern liegt im Auge des Betrachters.
Ist Glück also doch käuflich?
Sowohl das Konsumverhalten der Deutschen, der Trend hin zum vermeintlichen Konsumverzicht als auch die Ergebnisse der Studie Atalays und Meloys weisen auf ein bestimmtes Phänomen hin: die neuentdeckte Wertschätzung des Gekauften. Es heißt, Geld mache nicht glücklich und pauschal könnte man für Geldausgeben dasselbe behaupten. Vielleicht ist dies aber zu kurz gedacht: Vielmehr solle der Fokus darauf gelegt werden, sich an dem Nutzen der Sache nachhaltig zu erfreuen. Zwar ist die Debatte, ob Konsum glücklich macht, damit nicht abgeschlossen – dennoch bietet der Einblick in menschliches Konsumverhalten auch Hinweise darauf, in welche Richtung sich eine moderne Konsumgesellschaft wie die Deutschlands entwickelt. Gerade hier zeigt sich, dass anstelle eines postulierten Konsumverzichts eine Forderung nach einem neuen Konsumbewusstsein angemessener erscheint. Zumindest hinsichtlich des Nachhaltigkeitsgedankens bewegt sich der Konsum durch die Wiederverwendung von Altgeräten und der verstärkten Nachfrage von höherwertigeren und potentiell langlebigeren Gütern in die richtige Richtung. Und auch das Teelicht-Phänomen bietet die Möglichkeit, neu über die Auswirkungen von Konsum auf unsere Gefühlswelt nachzudenken. Denn selbst wenn Konsum trotz alledem nicht langfristig glücklich machen sollte, müssen wir uns zumindest nicht schuldig fühlen.
RNRed