Sind bunte Tattoos ungesund? Zu den Hintergründen vom Verbot der Tattoofarben in der EU und den Auswirkungen auf den hiesigen Markt.
Seit 01. Juni 2007 gibt es die „REACH-Verordnung“ in Europa. Die Abkürzung steht für „Regulation concerning the registration, Evaluation, Authorisation and restriktion of CHemicals“, also die Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe. Ihr Ziel ist es unter anderem, den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor industriell erzeugten und verwendeten Chemikalien zu verbessern.
Die REACH-Verordnung betrifft alle chemischen Stoffe und gilt sowohl für alle in der industriellen Fertigung verwendeten Stoffe als auch für jene, mit denen wir im täglichen Leben in Kontakt kommen wie Reinigungsmittel, Lacke oder Alltagsgegenstände. Beweislast im Rahmen der REACH tragen die Unternehmen. Sie müssen deutlich machen, mit welchen Risiken verwendete Stoffe verbunden sind, und dafür sorgen, dass diese vom Anwender beherrschbar sein könnten. Sind die Risiken nicht ausreichend beherrschbar, kann die Verwendung dieser Stoffe durch die europäischen Behörden eingeschränkt werden: Im besten Fall nur so lange, bis gefährliche Stoffe durch weniger gefährliche ersetzt werden können – im schlechtesten Fall ganz.
Die Liste der von der REACH-Verordnung betroffenen Stoffe nennt sich die sogenannte „Kandidatenliste“. In dieser sind aktuell in über 200 besorgniserregend Stoffe und Stoffgruppen aufgelistet. Sie wird von der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) regelmäßig aktualisiert.
Auswirkungen auf Tätowierungen oder Permanent Make-up
Die Verbreitung von Tattoos hat in den letzten Jahren zugenommen. Mindestens 12 Prozent der Menschen in Europa tragen ein Tattoo, in der Altersgruppe von 18 bis 35 Jahren ist der Anteil sogar doppelt so groß. Für ein Tattoo oder ein Permanent Make-up muss die erste Hautschicht (Epidermis) mit einer Nadel durchdrungen werden, um in der darunter liegenden Dermis Farbe einzubringen, die dauerhaft verbleibt. Denn Epidermis schilfert an der Oberfläche kontinuierlich ab und erneuert sich darunter stetig, eingebrachte Farbe würde somit einfach rauswachsen. Während beim Tätowieren Farbpigmente zum Zweck künstlerischer Verzierungen an jeder erdenklichen Stelle am Körper unter die Haut eingebracht werden, zielt das Permanent Make-up darauf ab, Kosmetikprodukte wie Lippenstift oder Eyeliner überflüssig zu machen, in dem entsprechende Farb-Pigmente anstelle auf der Haut aufgebracht unter die Haut eingebracht werden.
Stoffe analyisiert und bewertet
Um zu prüfen, welche gesundheitlichen Risiken von den verwendeten Tätowier- und Permanent Make-up-Farben ausgehen, hatte die Europäische Kommission im Jahr 2015 die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) beauftragt, die Stoffe zu analysieren und zu bewerten. Besonders aufmerksam wurden dabei Chemikalien analysiert, die Krebs erregen, das Erbgut verändern oder allergische Reaktionen hervorrufen sowie Metalle oder andere Stoffe, die die Kriterien für die Aufnahme in die „Kandidatenliste“ erfüllen.
Bereits 2017 erfolgte die erste Risikobeurteilung samt Beschränkungsvorschlag. Dieser wurde durch den Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) und den Ausschuss für sozioökonomische Analyse (SEAC) geprüft, bevor deren endgültige Bewertung 2019 an die Europäische Kommission weitergegeben wurde. Der RAC gleicht die vermuteten Risiken mit den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen über die geprüften Stoffe ab. Die SEAC wertet die mit einer Beschränkung verbundenen Kosten und sonstigen sozioökonomischen Folgen aus. Beide Institutionen kamen zu dem Schluss, dass Risiken für die Gesundheit durch die Verwendung der geprüften Chemikalien bestehen.
Verbot von schädlichen Substanzen
Seit 05. Januar 2022 greifen nun strengere Verordnungen im Rahmen der REACH und die Regeln für Stoffgemische, die bei Tätowierungen oder Permanent Make-up verwendet werden dürfen, werden verschärft. Die Beschränkung betrifft beispielsweise Stoffe, die Krebs oder genetische Mutationen auslösen, Chemikalien, die die Fortpflanzung beeinträchtigen, sowie hautallergen und -reizende Substanzen. Die verwendeten Farbgemische verbleiben nämlich nicht nur in der Haut, sondern können über natürliche Abbaumechanismen des Körpers auch in den Lymphknoten sowie in anderen Organen wie Niere und Leber landen und dort für teilweise schädliche Veränderungen sorgen.
Zusätzlich nimmt mit dem Anwachsen an tätowierten Personen, auch die Menge an Personen zu, die ihr Tattoo aus welchen Gründen auch immer wieder entfernen lassen wollen. Der Gang zum Lasern ist somit nicht weit. Nun kann man sich durchaus vorstellen, dass bei der Erhitzung teils ohnehin schädlicher Chemikalien nicht unbedingt weniger schädliche Abfallprodukte entstehen. Sicherlich: Das Tragen von Tattoos hat eine lange Tradition und Tattoo-Farben sind keine bahnbrechende Neuerfindung, dennoch ist nichts über die langfristigen Folgen von den nun beschränkten Chemikalien bekannt.
Die Verwendung von mehr als 4.000 teils als gefährlich gelisteten Chemikalien in Tätowier- und Permanent Make-up-Farben ist in der EU somit nicht mehr möglich. Zusätzlich gelten EU-weite Höchstwerte für einzelne Stoffe. Nur zwei Farbstoffe, Pigment Blau 15:3 und Grün 7, sind von der Regelung ausgeschlossen, nachdem es für diese derzeit keine sicheren und technisch angemessenen Alternativen gibt. Hier gibt es noch einen Übergangszeitraum bis zum 04. Januar 2023, bevor auch die Verwendung dieser Farbstoffe deutliche Einschränkungen erfährt.
Klingt vernünftig – aber was sagen die Tätowierer?
Monika Schmidt von „Anstich – All Stars Tattoo“ hält das Verbot von Tattoo-Farben für unverhältnismäßig. Ein gewissenhafter Tätowierer würde seinen Klienten keinen Schaden zufügen wollen. Die Langzeitfolgen insbesondere von Farbpigmenten seien vom aktuellen Standpunkt aus zwar nicht ausreichend erforscht, aber sie würden schon lange genug verwendet werden (immerhin schon mehrere Dekaden), um eine gewisse Sicherheit zu bieten. Die Etikettierung der Inhaltsstoffe sei nichts Neues und die nun folgende Verknappung würde für eine deutliche Verteuerung der farbigen Tattoo-Aufträge sorgen. Ähnlich äußert sich Sebastian Berthe von „Lucky Town Tattoo“, der das Ganze für „völligen Irrsinn“ hält. Und warum sollte ein seriöser „Hautkünstler“ auch nicht auf die Gesundheit seiner Klienten achten? Immerhin sollen die auf Haut verewigten Prachtwerke so lange wie möglich zur Schau getragen werden.
Gängelei durch die EU oder nicht, das Tattoo ist nicht totzukriegen. Über eine gute Verträglichkeit sollte man sich in Zukunft jedoch nicht mehr allzu viele Falten grübeln müssen.
Falls Sie in Zukunft doch Zweifel an der Verträglichkeit eines Farbstoffes oder möglicher Langzeitfolgen eines Farbpigmentes haben, wenden Sie sich an Ihren Tätowierer (die kennen sich meist besser aus, als man denkt) oder an den Dermato- oder Allergologen Ihres Vertrauens.
Gastartikel Dr. Heinz Lehmann