Nach Ausbruch des Ukraine-Krieges feiert das Hamstern wieder Hochkonjunktur. Auch Iod gehört zu den begehrten Produkten und ist daher in Apotheken oder Drogerien oft ausverkauft. Doch warum ist Iod im Moment so gefragt?
Nachdem seit Ausbruch des Ukraine-Krieges das Hamstern wieder Hochkonjunktur feiert, wollen wir uns auf das aktuell – neben Salatöl – begehrteste Objekt des Vorratskäufers konzentrieren: das Iod. Dessen zur Substitution erhältlichen Verwandte und Derivate sind in Apotheken und Drogeriemärkten derzeit regelmäßig knapp bis ausverkauft. Doch worum handelt es sich dabei eigentlich genau? Und warum ist es so begehrt?
Essentiell für Funktion der Schilddrüse
Iod ist ein chemisches Element, trägt das Symbol „I“ und die Ordnungszahl 53. Es gehört zur Hauptgruppe der sogenannten Halogene und wird nur in der Alltagssprache mit „J“ geschrieben. Als essentielles Spurenelement ist die Aufnahme von Iod in ausreichender Menge für den menschlichen und tierischen Organismus unbedingt notwendig. Am wichtigsten ist es für eine ungestörte Funktion der Schilddrüse. Dort ist seine Konzentration am höchsten und es wird dort hormonell genutzt. Nimmt man dauerhaft zu wenig Iod zu sich, versucht die Schilddrüse den Mangel über ein vermehrtes Wachstum auszugleichen.
Dafür sorgen, dass kein „Kropf“ entsteht
Damit in Iodmangelgebieten wie der Oberpfalz – hier ist das Vorkommen in den Böden nicht besonders hoch – kein sogenannter „Kropf“ entsteht, wird der ein- bis zweimal wöchentliche Verzehr von Seefisch und die Verwendung von jodiertem Speisesalz empfohlen sowie die Futtermittel bestimmter zum Verzehr vorgesehener Tiere jodiert. Neben den Effekten an der Schilddrüse sind die Produkte derselben, die Schilddrüsenhormone, an der Regulation zahlreicher Stoffwechselprozesse in nahezu allen Körperzellen beteiligt, die für den Stoffwechsel im Allgemeinen und die körperliche Entwicklung essentiell sind. Umso wichtiger ist es, seine Schilddrüse ausreichend zu füttern.
Weitere Verwendungsmöglichkeiten von Iod
Neben der Wichtigkeit bei der Funktion der Schilddrüse wird Iod in flüssiger Form zur Desinfektion von Wunden und zum Teil auch zur Desinfektion von Wasser in Badeanstalten verwendet, da es weniger aggressiv als Chlor ist. Da Iod aber keine Algen abtöten kann, muss dabei zusätzlich ein Algizid in das Wasser eingebracht werden, um eine Algenpest zu vermeiden.
Radioaktive Iod-Isotope, also atomare Artverwandte, werden zur Kenntlichmachung bestimmter Schilddrüsenfunktionsstörungen verwendet, um diese mittels Bildgebung sichtbar zu machen. Reichern sich die „strahlenden“ Iod-Artverwandten an bestimmten Punkten besonders an, so ist dort die Funktion gut bis viel zu gut, reichern sie sich wenig bis gar nicht an, ist dort die Funktion schlecht bis gar nicht vorhanden. Dies lässt sich analog bei der Bestimmung des Knochenmineralgehaltes anwenden und auch bei speziellen Untersuchungen in der Röntgen-Diagnostik werden Iod-haltige Kontrastmittel zur Sichtbarmachung bestimmter Fragestellung verwandt.
Bedeutung für den Strahlenschutz
Besonders interessant ist die Verwendung von Iod-haltigen Tabletten im Rahmen des Strahlenschutzes. Genau dieser mag auch einer der Hauptgründe des derzeitigen Ausverkaufs sein. Iod-Radionuklide sind eines der flüchtigsten Abfallprodukte im Kernkraftwerk im Rahmen der Kernspaltung. Sie reichern sich in Folge der Kernspaltung im Spalt zwischen den Brennstofftabletten und dem Hüllrohr der Brennstäbe an. Wenn nun der Sicherheitsbehälter im Rahmen eines Kernschadens oder einer Kernschmelze ein Leck erfährt, entfleuchen die Iod-Radionuklide in größerer Konzentration und können sich in der Umgebung oder mittels radioaktiver Wolke auch in entfernten Gebieten im biologischen Kreislauf anreichern. Für diesen Fall halten Bund und Länder der Umgebung der deutschen Kernkraftwerke etwa 137 Millionen Kaliumiodid-Tabletten mit einem hohen Jod-Gehalt bereit und versorgen die betroffene Bevölkerung selbst oder über die Apotheken vor Ort kostenfrei mit ausreichenden Mengen.
Schutz vor radioaktivem Iod
Die zur Verfügung gestellten Iod-Tabletten sind dabei derart hoch dosiert, dass sie nach Aufnahme eine sogenannte Iod-Blockade bewirken können. Sollte sich die nukleare Wolke nun nähern und das radioaktive Iod inhaliert worden sein, würde es sich im Normalfall in der Schilddrüse anreichern und dort gespeichert werden. Die Aufnahmekapazität der Schilddrüse für von außen zugeführtes Iod ist allerdings begrenzt. Fällt Iod über die Aufnahmekapazität an, wird es nach einigen Stunden einfach wieder ausgeschieden. Durch das Zuführen einer sehr hohen Iod-Menge wird auch die Hormonsynthese sowie die Ausschüttung derselben durch einen bisher nicht ausmachbaren Mechanismus gehemmt. Dieser Effekt hält nur wenige Tage an, bevor die Hormonproduktion wieder von selbst einsetzt. Somit kann die Speicherung von radioaktivem Iod in der Schilddrüse durch die prophylaktische Einnahme von Iod-haltigen Tabletten verhindert werden.
Derivate und Substitute sind kein Ersatz
Die für den Katastrophenfall vorgesehenen Tabletten enthalten in der Regel eine Menge von 65 Milligramm Kalium-Iodid. Diese Dosis ist nicht mit der einer Tablette zur Vorbeugung eines Iod-Mangels oder zur Substitution bei Schilddrüsenfehlfunktion zu vergleichen.
Zum Vergleich: Einer der Verkaufsschlager aktuell sind Jodetten mit einer durchschnittlichen Dosis von 150 bis 200 Mikrogramm Iod. Für eine ordentliche Jodblockade würde ein Erwachsener selbst bei einem großen Vorrat mit 200 Mikrogramm Jodtabletten ordentlich schlucken müssen, immerhin müsste täglich etwa 500 Stück davon einnehmen.
Die WHO empfiehlt im Katastrophenfall folgende Tages-Dosen:
Alter | empfohlene Menge im Zuge des Strahlenschutzes |
< 1 Monat | 12,5 mg Iodid |
1-36 Monate | 25 mg Iodid |
3-12 Jahre | 50 mg Iodid |
13-45 Jahre | 100 mg Iodid |
Für Personen über 45 Jahre ist die Iod-Blockade nicht empfohlen, da das Risiko für Nebenwirkungen höher ist, als das Risiko später an Schilddrüsenkrebs zu erkranken.
Falsche Einnahme kann böse nach hinten losgehen
Die Nebenwirkungen sind im Allgemeinen nicht zu vernachlässigen, weswegen eine prophylaktische Gabe nur aufgrund einer echten Indikation erfolgen sollte. Und auch der Zeitpunkt der Einnahme sollte gut gewählt sein, da bei schlechtem Timing die schützende Wirkung des eingenommenen Spurenelementes bei Ankunft der schädlichen Stoffe schon wieder verpufft sein kann. Daher ist von Hamsterkäufen und selbstständigen Versuchen, sich mittels prophylaktischer Iod-Einnahme vor dem nicht vorhandenen Supergau zu schützen, dringendst abzuraten. Diese Selbstversuche sind nämlich genauso effektiv, wie Salatöl, in den Tank zu gießen. Das kann im Zweifel böse nach hinten losgehen.
Sollten Sie dennoch Beratungsbedarf über mögliche und sinnvolle Schutzmaßnahmen in Krisenzeiten benötigen, wenden Sie sich an den Mediziner Ihres Vertrauens. Ich bin mir sicher, auch er hat sich dazu bereits Gedanken gemacht und wird Ihre Ängste ernst nehmen und Sie adäquat beraten.
Gastartikel Dr. Heinz Lehmann