Für die Maximierung der Frühlingsgefühle haben wir heute einen Fahrbericht für Verbrenner-Fetischisten, die einen mächtigen V8 samt Orchester zu schätzen wissen. Weil „nur“ Mercedes an sich natürlich hier nicht genug ist, wird dieser SL eben hausintern von AMG veredelt und diese Kombination verheißt eben maximalen Vortrieb in eleganter Verpackung.
Wer hier einen Hut auf einer hinteren Ablage parken möchte, ist natürlich fehl am Platz und auch als Kopfbedeckung während der Fahrt sind windschnittige Cappys eher angemessen als Strohhüte mit ausladenden Krempen. Wie so oft kommen Speerspitzen der Fahrfreude und Extravaganz von S & L in Pentling, wo wir unseren Faschingssombrero brav in der Cafélounge zurücklassen. Würde man nämlich das Pedal des AMGs lang genug bis zum Boden drücken, so würde sein Vorwärtstrieb erst bei lächerlichen 315 km/h enden – eine Cabriogeschwindigkeit bei der es schon nicht mehr ganz klar ist, ob der Fahrtwind den mit aller Kraft herausgedrückten Ellenbogen noch kühlt oder dieser schon eher heiß, wie beim Spaceshuttle-Eintritt in die Atmosphäre, wird.
Auch wenn wir circa 1.900 kg (leer) Masse zu beschleunigen haben, dauert es nur 3,6 Sekunden, bis die 100 km/h erreicht sind. Verantwortlich dafür ist ein massiv aufgeladener V8. Auch wenn die „63“ im Namen nicht mehr für den Hubraum stehen, sind trotzdem vier Liter Brennraum vorhanden. Diese werden ordentlich mit Twin-Scroll-Turboladern vorverdichtet beatmet. Das Resultat sind 585 PS Leistung und noch wichtiger: brutale 800 NM an Drehmoment, die an der Kurbelwelle anliegen.
Neben vielen Teilen aus dem Rennsport kann der V8 aber auch brav, schaltet Zylinder ab und senkt damit den Verbrauch zum Vorgänger merklich. Wir haben in unserer Überlandtestrunde unter neun Liter verbraucht – im braven Fahrtteil wohlgemerkt.
Keramikbremse, Hinterachslenkung, Allrad, ausfahrbarer Heckspoiler, 9-Stufen-Automatik
Zu dem brachialen Triebwerk hat Mercedes natürlich auch sonst alles an Bord gepackt, was Roofless-Sportfetischisten durch Fahrtwind abzukühlende Hitzewallungen verschafft: Keramikbremse, Hinterachslenkung, Allrad, ausfahrbarer Heckspoiler mit verschiedenen Kippwinkeln und eine 9-Stufen-Automatik, die zu jeder Zeit die perfekte Drehzahl für maximalen Vortrieb einstellt – oder zahm und seidig den Alltag begleitet.
Das selbstverständlich adaptive Fahrwerk lässt weder wanken noch sonstige Nickbewegungen zu, wenn es mal flott zum Kurveneingang geht und selbst in Sport+ ist es schnell genug, um zwischen Schlaglöchern – die gedämpft werden – und Bodenwellen zu unterscheiden. Regensburgs Lochteppich verhindert somit keine harten Einstellungen, wenn es flott im kurvigen mit Grip vorwärtsgehen soll. Und den benötigt man den gerade in den unteren Gängen, drückt der V8 doch oft mehr, als die Pneus am Ende haften können.
Natürlich kann man das gewünschte Setup über das Lenkrad steuern. Hierzu gibt es zwei kleine Displays mit Tasten und Drehring im unteren Bereich des Lenkrads. Rechts kreiselt man für das Basis-Set-up wie z. B. Sport oder Komfort und links kann man einzelne Gruppen regeln wie z. B. das AMG Dynamic Drive oder die Klappen des Auspuffs. Mit Wisch- und Drucktasten ist das meiste sowieso über das Lenkrad zu steuern, zusätzlich unterstützt neben Sprachassistenz die Gestensteuerung und das riesige Touchdisplay, das sich automatisch noch neigt, um je nach Lichteinfall für passende Kontraste zu sorgen.
Auf Kurs gehalten wird der Bolide von 21-Zollern mit 305ern hinten und 275ern vorne, Niederquerschnitt versteht sich. Die Lenkung ist dabei ausnehmend präzise kommuniziert klar an den Dompteur, ist dank Hinterachslenkung äußerst agil und unterstreicht den sportlichen Charakter dieses SLs.
Zeitloses Design und weiche Linienführung
Das Exterieur wird von einer angenehm weichen Linienführung gezeichnet. Mercedes geht hier einen etwas eigenen Weg und setzt Sicken und Kanten nur dezent zur Unterstreichung und Unterbrechung von Flächen ein. Das Design ist sehr zeitlos und verzichtet auf eine aggressive Formsprache – ein Understatement, das nur in Details wie dem Heckdiffusor oder den großen Einlässen in der Frontschürze das Renn-Potential andeutet. Auch ist wieder ein faltbares Stoffdach verbaut, welches in knapp 20 gemessenen Sekunden (bedienbar bis 60 km/h) öffnet und schließt. Das Metalldach des Vorgängers war hier gut 20 kg schwerer. Unter freiem Himmel können tatsächlich vier Personen reisen – theoretisch. Faktisch passt der Nachwuchs eher bis zu einer Größe von 1,50 hinten hinein und das auch nur, wenn Fahrer und Beifahrer die eigene Beinfreiheit durch eine weiter vorne eingenommene Sitzposition opfern. Da im Supersportlercabrio nur (geöffnetes Dach) 213 Liter an Gepäckraumvolumen zur Verfügung stehen, bietet sich die zweite Sitzreihe natürlich zum Zuladen weiteren Reisegepäcks an – für 911er Fahrer Alltag.
„Energizing Paket“ mit warmer Ambientbeleuchtung und hellen Klängen
Im Innenraum glänzt der Mercedes natürlich mit edler Optik. Auf Wunsch Bicolor in diversen Farben, Ziernähte, Alu, Nackenföhn, Massage, Multikontoursitze, alles derzeitig an üblichen Assistenzen oder darf es vielleicht ein „Energizing Paket“ sein, bei dem warme Ambientbeleuchtung mit hellen Klängen, abgestimmter Innenraumbelüftung und mobilisierender Massage Ihnen neue Kraft verschafft? Die Wahl der Sitze deutet hier schon den Unterschied zwischen Komfort oder Performance an.
Unser absolut neues Testfahrzeug hat mitunter zudem ein Liftsystem vorne, Leichtmetall-AMG Felgen, das AMG Track Pack oder das Premium Plus Paket samt Multikontursitzen, das alleine schon über 7400 Euro kostet und schlägt mit einem Preis von 206.900 Euro zu Buche. SL-AMG 63 fahren kann man mit umfassender Serienausstattung übrigens ab rund 187.000 Euro. Dies ist definitiv der agilste SL den es je gab, ein Grenzgänger zwischen Sport und Concours.
Nick Lengfellner / filterVERLAG