Egal ob beim Fahren über den Odessa-Ring, beim Besuch der Clermont-Ferrand-Schule oder einem Picknick im Aberdeen-Park – Regensburgs Partnerstädte sind allgegenwärtig. Im zweiten Teil unserer Reihe erkunden wir die älteste Partnerstadt Regensburgs: Aberdeen.
Unsere Erkundungstour zu den Namenspatronen der genannten Örtlichkeiten führt uns diesen Monat nicht nur alphabetisch dahin, wo alles angefangen hat. Bereits 1955 gingen die schottische Stadt Aberdeen und die Hauptstadt der Oberpfalz einen Freundschaftsbund ein – dieser ist damit noch vor Clermont-Ferrand der älteste in unserer Reihe. Heute ist Aberdeen als Stadt des „Silbers“ und der Blumen bekannt. Unsere schottischen Freunde können auf eine bewegte Geschichte zurückblicken und brauchen sich in Sachen Attraktivität nicht hinter Glasgow und Edinburgh verstecken. Hier geht es zum ersten Teil unserer Reihe: Odessa – Perle am schwarzen Meer.
Zwischen zwei Flüssen und einem Meer
Aberdeen ist mit rund 220.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Schottlands. Oft wird die Stadt von der Popularität von Edinburgh und Glasgow überschattet, doch innerhalb Großbritanniens genießt Aberdeen einen hervorragenden Ruf als „Stadt aus Silber“. Aberdeen liegt an der Nordsee – um genau zu sein, an der mitunter rauen, jedoch auch malerischen Nordostküste Schottlands. Zwischen den Mündungen der beiden Flüsse „Dee“ und „Don“ entwickelten sich Teile des heutigen Aberdeens zu einem der Handels- und Fischerzentren des Mittelalters. Tatsächlich siedelten wohl schon vor über 8.000 Jahren Menschen in der Region, doch ein genaues Gründungsdatum für die Stadt lässt sich kaum bestimmen. Gemeinhin soll die Stadt Aberdeen aber wohl rund 1.000 Jahre alt sein.
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William, Bruce und die Freiheit
Schottland gehört zusammen mit Wales, Nordirland und England zum Vereinigten Königreich. Auch Laien wissen, dass hinter diesem Bund eine blutige und jahrhundertelange Geschichte steht. So wurde Aberdeenshire – also das „Bundesland“ Aberdeens – zum Schauplatz einiger historischer Schlachten. Zur Zeit der Römer setzten sich die Pikten hier gegen ihre lateinischen Besatzer zur Wehr, rund 1.200 Jahre später kämpften an gleicher Stelle die Schotten gegen ihre englischen Könige. Tatsächlich befand sich Aberdeen zur Zeit der Unabhängigkeitskriege unter englischer Herrschaft und wurde erst durch den Anführer und späteren König der Schotten Robert Bruce befreit. Seine Errungenschaften wurden im Jahr 2011 mit einer Statue des Königs unsterblich gemacht.
Ähnliches gilt für den schottischen Unabhängigkeitskämpfer William Wallace, der vielen aus Mel Gibsons historisch fragwürdiger Adaption „Braveheart“ bekannt sein dürfte. Bereits seit 1888 überblickt ein William Wallace aus Metall einen der zahlreichen, märchenhaften Parks der Stadt. Freilich waren die schottischen Freiheitskämpfe, wenn überhaupt, nur temporär erfolgreich und so ist Schottland heute noch Teil Großbritanniens. Der schottische Drang nach Unabhängigkeit ist jedoch nie ganz verschwunden. Auch wenn die Bestrebungen, sich von England zu lösen, heute nicht mehr mit dem Zweihänder, sondern am grünen Tisch verhandelt werden.
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Postkartenmotive inklusive
Die Historie der Region spiegelt sich in einer Vielzahl von Museen wider. Vom „The Gordon Highlanders“-Museum, das sich mit der Geschichte des berühmten, gleichnamigen schottischen Regiments beschäftigt, über das Zoologie-Museum bis zum „King’s Museum“ der Universität – Aberdeen bietet eine ganze Reihe von Fenstern in die eigene Vergangenheit. Im Umland der Stadt finden sich Burgen, Schlösser und weitere Überreste berühmter Clans und Könige. Egal, ob atemberaubende Natur, spannende Kultur oder lebendiges Entertainment – Aberdeen und Umgebung bieten für jede Altersklasse und jeden Geschmack etwas. Besonders pittoresk präsentiert sich das Dunnottar Castle, das auch Jahrhunderte nach seiner Erbauung noch majestätisch über dem Meer thront.
Stadt aus „Silber“ und Blumen
Zugegeben – der Name „Silver-City“ ist ein wenig irreführend. Zum einen klingt er nach einer klischeebesetzten Westernstadt à la Lucky Luke, zum anderen hat er auch nichts mit dem Edelmetall zu tun. Vielmehr bestehen große Teile des in den letzten 200 Jahren gebauten Aberdeens aus Granit der zahlreichen ehemaligen Steinbrüche der Region. Bei direktem Sonneneinfall glänzen diverse Gebäude der Stadt genau wie das namensgebende Silber. Auf Bildern wirkt der bei uns selten verwendete Baustoff grau und trist, weswegen es sich gleich doppelt lohnt, Aberdeen persönlich einen Besuch abzustatten. Zum Glanz kommt die britische Liebe zu elaborierten Park- und Grünanlagen: Die Stücke kultivierter Natur im Stadtgebiet Aberdeens wurden über die Jahre vielfach prämiert und brachten der Hafenmetropole ihren zweiten Spitznamen, Stadt der Blumen – beziehungsweise Rosen. Heute sind die vielen Parkanlagen beliebte Ausflugsziele für Touristen und auf Websites über die Stadt wird damit geworben, nie weit von der Natur entfernt zu sein. Auch sind die Grünanlagen gern genutzte Rückzugsorte der Einwohner, die dem Trubel der Stadt entkommen wollen. Tatsächlich kann dieser in Aberdeen mitunter groß sein – auch wenn das nicht schon immer der Fall war.
Vom Fischerdorf zum Öl-Zentrum
Bis ungefähr 1970 war Aberdeen ein etwas verschlafenes Nestchen, dessen Wirtschaft und damit auch seine Bevölkerung hauptsächlich aus Fischern und anderen traditionellen Wirtschaftszweigen bestand. All das änderte sich schlagartig, als an der Küste vor Aberdeenshire Öl gefunden wurde. Was folgte, war ein nicht nur wirtschaftlicher Aufschwung, der Aberdeen in den Augen einiger zum Öl-Zentrum Europas aufstiegen ließ. Bei gutem Wetter kann man die Bohrinseln von der Küste aus sogar mit dem bloßen Auge erkennen. Mit dem Geld kamen auch Sehenswürdigkeiten und Geschäfte in die Stadt und mit ihnen Touristen. Aber auch Tanker und Versorgungsschiffe prägen seitdem das Stadtbild. Heute ist Aberdeen dafür bekannt, ein für Besucher vielfältiges Programm zu bieten. Vom Hafen, der frischen Fisch und Seefrüchte liefert, zu Parkanlagen, die berühmte schottische Dichter inspirierten. Von historischen Bauwerken über moderne Shoppingmeilen bis zum Sandstrand Aberdeens. Die Ostküste Schottlands ist ein Ort, an dem man mit etwas Glück beim Surfen Delfine beobachten kann und am Abend eines der gefragtesten Theater Europas besuchen kann. Aberdeen lebt von seinen Gegensätzen, die sonst oft nur in Millionenstädten zu finden sind.
Schottische (Vor-)Denker
Schottland hat eine reiche und spannende Geschichte und damit einhergehend auch eine tiefe Kultur. Aberdeen nimmt auch hier keine Randstellung ein. Die „University of Aberdeen“ wurde bereits 1495 gegründet und hat bis heute in weiterentwickelter Form bestand. So sind die heute noch stehenden Gebäude nicht nur ein beliebtes Fotomotiv für Touristen, sondern stehen auch für schottische Errungenschaften in Kunst, Wissenschaft und Kultur. Denn auch wenn die „Schottische Aufklärung“ um große Denker wie Adam Smith ihr Zentrum eher in Edinburgh hatte, tat sich auch Aberdeen schon vor hunderten von Jahren als Wissenschaftsstandort hervor. Smith, der als einer der größten Vorreiter in Sachen Wirtschaftslehre gilt, würde sicherlich mit Spannung auf die Auswirkungen der Öl-Funde vor der Küste Schottlands blicken.
Kurzes Brot und eiserner Trunk
Klassisch schottische Tugenden gibt es natürlich auch in Aberdeen zu erleben. Neben den historischen Überbleibseln von Königen und Clanführern in der Umgebung hat Aberdeenshire noch einiges mehr zu bieten. So sind auch Ausflüge in die Highlands von Aberdeen aus kein Problem und Kilts und Highland-Rinder zieren auch in den örtlichen Läden Postkarten und Teetassen. Iverness – das Zentrum der Highlands – und damit auch das sagenumwobene „Loch Ness“ liegen sogar deutlich näher an Aberdeen als an Glasgow oder Edinburgh.
In Aberdeen selbst gibt es eine Vielzahl von klassischen Pubs, die neben flüssigen Spezialitäten wie Bier und Whisky natürlich auch traditionelles Essen wie Haggis anbieten. Wem gefüllter Schafsmagen allzu exotisch ist, greift vielleicht lieber auf das reichhaltige Fisch- und Meeresfrüchteangebot zurück, das Aberdeen als Küstenstadt kulinarisch von anderen schottischen Großstädten abhebt. Zur klassisch britischen Tea-Time dürfen die als „Shortbread“ bekannten schottischen Kekse natürlich auch nicht fehlen. Wer auf der Suche nach einem ungewöhnlicheren Mitbringsel ist, sollte vielleicht zu einer Dose des inoffiziellen schottischen Nationalgetränks greifen: „Irn-Bru“ – Iron-Brew gesprochen – ist ein knall-oranges und koffeinhaltiges Getränk, das sich über Jahrzehnte hinweg in Schottland sogar besser verkaufte als ein gewisser rot-weißer Marktführer aus den USA.
Whiskyzentrum und Fußballhochburg
Für erwachsene Freunde und Verwandte packt man natürlich gerne eine Flasche des schottischsten aller Getränke ein: Auch in Aberdeen gibt es eine Reihe von Whisky-Destillerien, die es Besuchern ermöglichen, einen Blick in die heiligen Kessel zu werfen. Für Fans klarer Spirituosen sei angemerkt, dass sich auch Gin in Aberdeen seit Jahrhunderten großer Beliebtheit erfreut. Etwas ältere Fußballfans dagegen, dürften beim Namen Aberdeen hellhörig werden, denn bevor die beiden Glasgower Vereine Celtic und Rangers die schottische Liga dominierten, stand tatsächlich der Aberdeen F.C. an der Spitze Schottlands – und nicht nur dort: 1983 gewann Aberdeen den damals noch als Europapokal der Pokalsieger bekannten Wettbewerb gegen niemand geringeren als Real Madrid. Maßgeblich beteiligt an diesem und vielen weiteren Erfolgen war Trainerlegende Alex Ferguson, der in seiner späteren Karriere als Chef von Manchester United seinen Platz im Fußball-Olymp zementieren sollte.
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Regensburg und Aberdeen
2020 feierte die Städtepartnerschaft ihr 65-jähriges Bestehen. Schulprojekte, Kooperationen der Universitäten und Besuche von Künstlern und Kulturschaffenden haben die Freundschaft über die Jahrzehnte nicht nur am Leben gehalten, sondern regelrecht blühen lassen. Ein besonders erwähnenswertes Projekt wurde von der Volkshochschule Regensburg mitangestoßen: Senioren und Seniorinnen beider Städte hielten Erlebnisse aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg für kommende Generationen fest. Städtepartnerschaften sind und werden gerade innerhalb von Europa auch immer Zeichen der Aussöhnung und des Neuanfangs sein, doch es wäre zu einfach sie auf diesen Aspekt zu reduzieren. Heute sind Städtepartnerschaften geprägt vom kulturellen Austausch, doch sie haben auch wirtschaftliche und wissenschaftliche Einflüsse auf unsere Stadt. Aberdeen war dabei Musterbeispiel für alle anderen Partnerschaften – auch jene, die wir in den kommenden Monaten besuchen werden.
RNRed