Durch einen der schwerwiegendsten Skandale der jüngeren Geschichte und eines der schlimmsten Geschehnisse der jüngeren Geschichte Bayerns stehen die Stadt und vor allem das Bistum Regensburg 2010 von einem Tag auf den anderen im Fokus der kompletten Bundesrepublik. Die Hintergründe.
Im November feierte unser Magazin, der filter, sein 20-jähriges Bestehen. Von 2002 bis 2022: Ereignisse, die unsere Stadt und uns selbst geprägt haben. Den direkten Vorgänger-Artikel gibt es hier. Kurz nach Beginn des Jahres 2010 meldeten sich mehrere Männer, die früher Schüler bei den Domspatzen waren und berichteten von sexuellen und körperlichen Übergriffen durch Lehrer, Geistliche und sogar Mitschüler. Das gesamte Ausmaß des Missbrauchs sollte erst Jahre später durch den Abschlussbericht des Opferanwalts Ulrich Weber greifbar gemacht werden.
Dunkelziffer bei rund 700 Fällen
Die schockierenden Zahlen lauteten am Ende: 49 mutmaßliche Täter, 547 misshandelte Schüler im Alter von circa acht bis 18 Jahren. 67 der Jungen wurden sexuell missbraucht. Die Dunkelziffer soll bei insgesamt rund 700 Fällen liegen. Nachdem die Domspatzen selbst nach dem ersten Aufkommen der Vorwürfe lediglich die verstorbenen geistlichen Internatsleiter Friedrich Zeitler und Georg Friedrich Zimmermann benannten, kristallisierte sich durch den, schlussendlich auch von der Institution selbst mitgetragenen Aufarbeitungsprozess, ein Bild des systematischen Missbrauchs heraus.
„Der Chor zuerst“
So fand sich auch Papstbruder Georg Ratzinger mit dem Vorwurf konfrontiert, seine Visionen für den Domspatzen-Chor meist mit Gewalt an den Schutzbefohlenen durchgesetzt zu haben. Das hohe Prestige und der damals noch viel präsentere Respekt vor katholischen Geistlichen hatte dazu geführt, dass viele Eltern, aber auch Beamte und Beteiligte, die Vorwürfe jahrelang unter den Teppich gekehrt oder nicht ernst genommen hatten. 2019 erschien ein Buch der beiden Historiker Bernhard Löffler und Bernhard Frings mit dem Titel „Der Chor zuerst“, das die Hintergründe für die Missbrauchsfälle liefert und versucht zu ergründen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Im Fall der rein körperlichen Misshandlungen kamen die Autoren schnell zu dem Ergebnis, dass die Maxime, den Erfolg und das Prestige des Chors über das Wohl der Kinder zu stellen bereits im Jahr 1924 unter Domkapellmeister Theobald Schrems begann.
376 Geschädigte – 3,785 Millionen Euro
Ratzinger, der von 1964 an dreißig Jahre lang verantwortlich war, führte diese lediglich weiter. Sein Bruder, der spätere Papst Benedikt XVI, hatte für die sexuellen Übergriffe in der katholischen Kirche eine ganz eigene These, die ihm viel Kritik einbrachte: Die 1968er Bewegung hätte Pädophilie salonfähig gemacht und den Missbrauch so ermöglicht. Als wirklich abgeschlossen wird die Geschichte wohl nie gelten, alleine weil viele der Opfer bis heute geschwiegen haben und die Täter nicht mehr zu belangen sind. 376 Geschädigte, die ihr Schweigen gebrochen haben, erhielten finanzielle Entschädigungen von insgesamt 3,785 Millionen Euro. Das entspricht individuellen Entschädigungszahlungen von rund 25.000 Euro. Das abgeschottete System der Domspatzen ist aufgebrochen und die Domspatzen versuchen heute einer besseren Zukunft entgegen zu arbeiten. Ganz verschwinden wird der Makel wohl nie, wichtig wird sein, aus ihm zu lernen.
RNRed