Unter der Perücke, in einem Teddybären oder einem Schokoriegel: Was das Verstecken von Marihuana angeht, waren die Konsumenten schon immer erfinderisch. Das war einmal, denn im privaten Bereich ist der Besitz, Erwerb und Anbau von Cannabis seit dem 1. April 2024 in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen legal. Wir sprechen über „sicheres Gras“, Sucht und Verwaltungschaos.
Wir haben bereits darüber informiert, wie Cannabis wirkt und was man mit dem neuen Gesetz erreichen will. Erwachsene ab 18 Jahren dürfen bis zu 50 Gramm zu Hause und bis zu 25 Gramm im öffentlichen Raum mit sich führen, aber nicht vor Minderjährigen konsumieren. Auch der Anbau von maximal drei Pflanzen ist erlaubt. Und gerade die Nachfrage nach Produkten für den Anbau in der eigenen Wohnung oder im Garten ist im Internet nahezu explodiert. Im Monat April ist diese im Vergleich zum Vorjahr um 600 Prozent angestiegen, das hat eine Analyse des Vergleichsportals billiger.de ergeben. Es gäbe einen regelrechten Run auf Produkte wie Pflanzenlampen, Thermometer oder Luftbefeuchter (Stand 06/2024). Gleichzeitig sei aber auch die Nachfrage nach Drogentests deutlich gestiegen. Dies könnte auf eine wachsende Sensibilisierung für den verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis hinweisen, so das Vergleichsportal.
Wie sicher ist der Umgang tatsächlich? Wie konsumiere ich richtig? Und wann wird Kiffen gefährlich? Das klären wir mit der Caritas Fachambulanz für Suchtprobleme. Darüber hinaus sprechen wir mit dem Inhaber von „Hanf in Glück“ in Regensburg über den Unterschied zwischen THC und CBD sowie über die geplanten Cannabis-Clubs und welche Veränderungen diese mit sich bringen. Neuerungen gibt es auch bei der Justiz: Wir haben beim bayerischen Staatsministerium der Justiz und der Staatsanwaltschaft Regensburg nachgefragt, welche Auswirkungen das neue Gesetz auf noch laufende Verfahren hat.
Vor- und Nachteile aus ärztlicher Sicht
Das Regensburger Ärztenetz e.V., ein freiwilliger Zusammenschluss von knapp 200 Ärztinnen und Ärzten aus dem Großraum Regensburg, äußert sich auf der eigenen Webseite zur Cannabis-Legalisierung. Dort heißt es: „Cannabis hat Vorteile, die andere Wirkstoffe nicht haben: Der Körper produziert selbst ganz ähnliche Stoffe, die sogenannten Endocannabinoide. Sie entfalten ihre Wirkung über verschiedene Rezeptoren, die auch für eingenommene Cannabis-Wirkstoffe empfänglich sind. Ärzte verordnen Produkte aus der Hanfpflanze chronisch kranken Patienten, die gängige Schmerzmittel nicht mehr vertragen oder deren Schmerzmittel nicht mehr wirken.“ Der Freizeitkonsum von Cannabis, das Kiffen, werde aber häufig verharmlost und unterschätzt: „Vor allem bei jungen Menschen kann es dadurch zu dauerhaften Veränderungen im Gehirn kommen. Erst wenn das Gehirn vollständig entwickelt ist, etwa Mitte 20, sinkt das Risiko, es durch Cannabiskonsum nachhaltig zu schädigen.“
Cannabis tatsächlich eine Einstiegsdroge?
Diese Frage wird immer wieder heiß diskutiert, weshalb wir diesbezüglich mit Expertin Marion Santl gesprochen haben. Sie ist Leiterin der Fachambulanz für Suchtprobleme Regensburg und Leiterin des Referats Suchthilfe und Sozialpsychiatrie der Caritas. Der wichtigste Punkt aus Sicht der Caritas Suchthilfe sei, dass Konsumierende straffrei bleiben: „Statt bestraft zu werden, können Personen mit Konsumproblemen so leichter Unterstützung und Behandlung erhalten.“ Also durchaus ein Vorteil.
Marion Santl, Leiterin der Fachambulanz für Suchtprobleme Regensburg und Leiterin des Referats Suchthilfe und Sozialpsychiatrie der Caritas © H.C. Wagner
Kritisch sieht Marion Santl dagegen vor allem die zugelassene Menge: „Diese ist für Freizeit- und Genusszwecke viel zu hoch. Es gilt als gesichert, dass eine hohe Verfügbarkeit einer Substanz ein hohes Risiko für eine Abhängigkeitsentwicklung darstellt. Klar ist: Wir erhalten ein zusätzlich legales Suchtmittel.“ Die Art und das Ausmaß der Wirkung hänge laut Santl stark von der konsumierenden Person und ihrer aktuellen Stimmung, von der Konsumart (geraucht, gegessen), der Sorte und der Konsummenge sowie der Konsumsituation ab. „Cannabis hat die Tendenz, positive und negative Gefühle zu verstärken, sodass die Gefühlslage zum Zeitpunkt des Konsums eine große Rolle spielt.“
Bei der Frage, ob Marihuana tatsächlich eine Einstiegsdroge ist, sieht die Sucht-Expertin das größere Problem aktuell noch woanders: „Die Einstiegssubstanzen sind und bleiben Alkohol und Nikotin. Hier machen die meisten Menschen ihre ersten Konsum- und auch Rauscherfahrungen.“ Dennoch ist auch Kiffen ein Thema: „Im Caritas Suchthilfeverbund Ostbayern kommen in einem Jahr etwa 15 Prozent aller Ratsuchenden bezüglich Cannabis zu uns“, so Santl.
Auch Kilian Bohn, Inhaber von Hanf im Glück in Regensburg, der sein Geld mit Cannabis-Produkten ohne berauschender Wirkung verdient, kann die Bedenken nachvollziehen, hält diese aber für unbegründet. Seiner Meinung nach müsse man konsequenter über das Thema Cannabis aufklären, um Bedenken und Ängste zu nehmen. „Die simple These der Einstiegsdroge gilt etwa bereits seit 1994 als widerlegt. Es war die Notwendigkeit, auf den Schwarzmarkt zurückzugreifen, welche Konsumenten mit anderen Substanzen in Berührung brachte. Genau das können wir in Zukunft unterbinden. Durch den Zugriff auf legales und sicheres Cannabis aus den Anbauvereinigungen müssen Konsumenten nicht mehr auf den Schwarzmarkt und eventuell verunreinigte Produkte zugreifen, die ihre Gesundheit in Gefahr bringen.“
Sicheres Gras durch Cannabis-Clubs
Um an das sichere Cannabis zu kommen, kann man entweder zu Hause selbst bis zu drei Pflanzen anbauen oder man wird Mitglied in einem Cannabis-Club, die es auch in Regensburg geben soll. Kilian Bohn von Hanf im Glück steht hinter dieser Idee, auch wenn der Aufwand groß und die Anforderungen hoch sind. Der Vorstand einer Anbauvereinigung dürfe schonmal keine Vorstrafen haben. „Darüber hinaus benötigt es eine ganze Menge an Personal, Erfahrung und Expertise: Neben der durch das Gesetz erforderlichen Dokumentationspflicht benötigt man mindestens einen geschulten Präventionsbeauftragten, mehrere ausgebildete und erfahrene Gärtner und Personen, die sich um die Administration und die Kommunikation mit den Mitgliedern kümmern“, so Bohn. Selbst für die Ausgabestelle kämen nur geschulte Mitarbeiter in Frage, die den Mitgliedern mit Rat und Tat zur Seite stehen. Alleine das Personal sei ein teures Unterfangen, das könne man nicht einfach im Ehrenamt nebenbei machen.
„Darüber hinaus kommt noch die Aufklärungs- und Präventionsarbeit, die innerhalb der Clubs organisiert und an seine Mitglieder ausgerollt werden muss, sowie die Qualitätssicherung der Produkte durch Hygienemaßnahmen während des Anbauprozesses und abschließender Laboranalysen“, ergänzt Bohn.
Angebaut werden wird entweder auf sogenannten „Zentralgrows“, also größeren Anbauflächen für mehrere Vereine oder eben in einzelnen Anlagen am jeweiligen Standort. Das Ziel sei, erstmal drei verschiedene Sorten anbieten zu können und dieses Angebot im Laufe der Zeit zu erweitern. Was das Cannabis dann kosten wird, darüber könne Bohn noch nichts Genaues sagen, weil noch einige Ungewissheiten seitens der Politik geklärt werden müssten, er gehe aber – sofern es keine unnötig harten Auflagen gibt – von einer Preisspanne zwischen 8 und 12 Euro pro Gramm aus.
Um bis zu 50 Gramm Cannabis pro Monat beziehen zu dürfen, muss man seit mindestens sechs Monaten in Deutschland gemeldet und Mitglied in einem Cannabis-Club sein. Auf der Seite von Hanf im Glück in Regensburg können sich Interessierte jetzt schon voranmelden und erhalten für eine finanzielle Unterstützung von 49 Euro später einen sicheren Platz in einer Anbauvereinigung ihrer Wahl. Darüber hinaus sind Vorträge, Workshops und weitere informative Veranstaltungen rund um das Thema Hanf geplant. Wann all das umgesetzt werden kann, ist noch unklar und Kilian Bohn geht auch gerade zu Beginn von längeren Wartezeiten aus. „Wir sprechen über eine Pflanze, die wachsen muss. Und wachsen kann sie natürlich erst, wenn wir mit dem Anbau anfangen dürfen. Die bayerische Politik hat jedoch angekündigt, alle Prozesse in Bezug auf die Anbaulizenz ihrerseits zu verlangsamen“, so Bohn.
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THC und CBD - einfach erklärt
Bis dahin verkauft er in seinen beiden „Hanf im Glück“–Shops in Regensburg und Straubing weiterhin seine Hanfprodukte, die allerdings keine berauschende Wirkung haben. „Die Hanfpflanze enthält viele Hunderte Wirkstoffe, davon etwa 120 Cannabinoide. Die zwei bekanntesten sind THC, welches sowohl medizinisch als auch als berauschendes Genussmittel genutzt wird, und CBD, welches eine rein körperliche Wirkung hat.“ Im Angebot hat Bohn unter anderem Hanftees, CBD-Öle und -Blüten oder auch Salben. Seine Kunden kämen häufig aufgrund von entzündungsbedingten Problemen, genereller Unruhe und Schlafproblemen zu ihm. Das Feedback sei durchweg positiv. Es könne zwar Nebenwirkungen wie Müdigkeit oder Appetitlosigkeit geben, im Allgemeinen hat CBD jedoch ein gutes Sicherheitsprofil, weshalb es diesbezüglich auch eine Unbedenklichkeitseinschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO gibt.
Neues Gesetz - Mehraufwand fuer die Justiz
Wie wir im ersten Teil unseres Cannabis-Reports erfahren haben, geht die Legalisierung beispielsweise für Ärzte oder Apotheker mit deutlich weniger Arbeitsaufwand einher, da Marihuana nun nicht mehr als Betäubungsmittel gilt. Auf Seiten der Justiz sieht es anders aus, wie uns Dr. Andrea Leonhardt, LL.M., Pressesprecherin des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, bestätigt hat. Das von den Regierungsfraktionen im Bundestag beschlossene Gesetz führe für die Staatsanwaltschaften und Gerichte in mehrfacher Hinsicht zu einem erheblichen Zusatzaufwand.
„Das Gesetz sieht beispielsweise vor, dass rechtskräftige und noch nicht vollständig vollstreckte Strafen in ihrem noch nicht vollstreckten Teil erlassen werden, wenn das der Verurteilung zugrundeliegende Verhalten nach der neuen Gesetzeslage nicht mehr strafbar oder bußgeldbewehrt wäre.“ Diese Fälle musste man erst einmal identifizieren, was nur durch eine händische Prüfung der Akten möglich gewesen sei. „Zudem sind bei den sogenannten Mischfällen aufwändige Neufestsetzungsverfahren durchzuführen“, so Leonhardt. Dies müsse noch dazu zügig geschehen, um zu vermeiden, dass Verurteilte länger in Haft bleiben müssen, als es die neu festgelegte Strafe erfordern würde. Hinzu kämen laut Leonhardt eine Vielzahl neuer Rechtsfragen, die Straf- und Bußgeldverfahren zusätzlich erschweren und verzögern würden: „Die Neuregelung enthält zum Beispiel 37 Bußgeldtatbestände im Vergleich zu den derzeit 15 Bußgeldtatbeständen des Betäubungsmittelgesetzes. Das Cannabisgesetz wird die Justiz daher nicht entlasten, sondern zusätzlich belasten.“ Der Zusatzaufwand sei bereits jetzt schon enorm und es bestehe die Gefahr, dass diese Arbeiten andere gesetzliche Aufgaben, wie eine effektive Strafverfolgung und -vollstreckung spürbar beeinträchtigen.
Die Staatsanwaltschaft Regensburg hat uns auf Nachfrage mitgeteilt, dass allein hier circa 1.400 alte Verfahren seitens der Justiz überprüft werden müssen (Stand 06/2024).
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Ob wir die Legalisierung nun gutheißen oder nicht: Am Ende ist es mit dem Kiffen wie bei anderen legalen Drogen und Genussmitteln. Minderjährige sollten geschützt und aufgeklärt werden und als Erwachsene sind wir selbst für unsere Handlungen verantwortlich. Wir entscheiden ganz individuell, ob, was und wie viel wir konsumieren.
Die Caritas Suchthilfe rät dringend, Nutzen und Risiken von Cannabis-Konsum abzuwägen und weist darauf hin: Unterschiedliche Konsumformen bergen unterschiedliche Risiken, die Menge bestimmt die Intensität des Rausches, Mischkonsum in Verbindung mit Tabak oder Alkohol kann das Risiko von Nebenwirkungen erhöhen. Generell sollte man sich gründlich über die Sorte und Herkunft des Produktes informieren und was generell im Fall von unerwünschten Nebenwirkungen zu tun ist. Auch sollte man sein Konsumverhalten regelmäßig reflektieren, um das Suchtrisiko und langfristige gesundheitliche Schäden zu minimieren.
filterVERLAG / Jennifer Schaller